Erbverzicht oder Pflichtteilsverzicht

Was ist sinnvoller?

Online seit: 26.11.2021
Artikel bewerten: (0)

Die Kinder und der Ehegatte gehören nicht nur zu den gesetzlichen Erben, sondern auch zu den Pflichtteilsberechtigten. Grundsätzlich ist es also nicht möglich, diese Familienmitglieder ganz vom Erbe auszuschließen. Doch manchmal kann es - für beide Teile - sinnvoll und angebracht sein, auf das Erbe bereits im Vorhinein zu verzichten. Erfahren Sie hier, warum dies so ist und wie dies funktioniert.

Was ist der Unterschied zwischen einem Erb- und einem Pflichtteilsverzicht?

Zunächst einmal betrachten wir das in § 2346 Abs. 1 BGB geregelte Grundmodell, den Erbverzicht. Nach der gesetzlichen Regelung können Verwandte und der Ehegatte durch einen Vertrag auf ihr gesetzliches Erbrecht verzichten. Folge eines solchen Verzichts ist, dass bei der Ermittlung der gesetzlichen Erben so getan wird, als würde es den Verzichtenden nicht mehr geben.

Beispiel: Der Erblasser E hat eine Ehefrau und zwei Kinder (aber noch keine Enkelkinder). Er hat kein Testament errichtet. Sein ältester Sohn gibt vor dem Notar einen Erbverzicht ab. E stirbt. Da in diesem Fall also so getan wird, als würde es diesen Sohn nicht geben, erben der andere Sohn und die Ehefrau jeweils zur Hälfte.

Nach § 2346 Abs. 2 BGB kann sich der Verzicht auch lediglich auf den Pflichtteil beschränken (sog. Pflichtteilsverzicht). Dann zählt der Verzichtende weiterhin zu den gesetzlichen Erben, aber er kann - wenn er testamentarisch enterbt wird - nicht mehr seinen Pflichtteil verlangen. Damit ein Pflichtteilsverzichts überhaupt Wirkung entfalten kann, muss also ein Testament errichtet werden.

Hinweis: Erb- und Pflichtteilsverzicht sind Verträge, die zu Lebzeiten mit dem Erblasser geschlossen werden. Es ist dabei zwingend die notarielle Form erforderlich (§ 2348 BGB). Ein schriftlicher Verzicht, wie man ihn immer wieder in der Praxis sieht, reicht also definitiv nicht aus! Außerdem: Ist der Erbfall bereits eingetreten, sind ein Erb- oder Pflichtteilsverzicht nicht mehr möglich. Dann bleibt nur noch die Ausschlagung des Erbes bzw. der Verzicht auf die Geltendmachung des Pflichtteils.

Wann werden solche Verzichtsverträge abgeschlossen?

Wenngleich der Verzicht dem gesetzlichen Regelmodell nach ohne jedwede Gegenleistung vorgesehen ist, erfolgt ein Verzicht in der Praxis zumeist nicht aus altruistischen Motiven. Manchmal ist es der bloße Druck der Eltern oder des Ehegatten, damit ein solcher Verzicht vermeintlich freiwillig und ohne Gegenleistung abgegeben wird. Nicht selten kann ein solcher Verzichtsvertrag aber eine gute Lösung für den künftigen Erblasser und den Verzichtenden sein. Nämlich dann, wenn der Erblasser seine Nachfolge unabhängig von den gesetzlichen Erben bzw. Pflichtteilsberechtigten planen will und wenn der Verzichtende als Gegenleistung einen angemessenen Geldbetrag erhält, den er dann bereits heute und nicht erst beim Tod des künftigen Erblassers verwenden kann. Insbesondere im Rahmen der Unternehmensnachfolge sind Pflichtteilsverzichtsverträge oftmals nahezu unerlässlich. Schließlich finden sich Pflichtteilsverzichte häufig, wenn bereits geschiedene Ehegatten erneut heiraten und das Vermögen eher an die Kinder aus der ersten Ehe gehen soll (sog. Patchwork-Familie).

Was ist sinnvoller: Erbverzicht oder Pflichtteilsverzicht?

Ein Erbverzicht ist in der Regel unnötig und in manchen Fällen sogar kontraproduktiv. Denn er schließt den Verzichtenden von der gesetzlichen Erbfolge aus, was damit zu einer Erhöhung der Erb- und damit auch Pflichtteilsquote der übrigen gesetzlichen Erben führt. Will man einen von diesen später aber enterben, kann dies sehr nachteilig sein. Zumeist reicht also ein Pflichtteilsverzicht in Verbindung mit einem entsprechenden Testament, durch das die verzichtende Person von der Erbfolge ausgeschlossen wird.

Zunächst einmal: Eine Anfechtung eines Erb- oder Pflichtteilsverzichts etwa wegen arglistiger Täuschung oder Drohung ist natürlich möglich. Diese Fälle sind aber extrem selten und sollen hier auch nicht behandelt werden. Ob darüber hinaus Anfechtungen wegen eines Irrtums möglich sind, etwa weil der Verzichtende eine klare Vorstellung von dem Wert oder der Zusammensetzung des Vermögens des Erblassers hat, ist stets eine Frage des Einzelfalls und auch abhängig davon, wie der Verzichtsvertrag formuliert wurde.

Ein in der juristischen Literatur stark diskutiertes Thema betrifft die Frage, ob solche Verzichtsverträge sittenwidrig sein können. Dies ist eine schwierige Frage, denn das Gesetz selbst sieht für einen Verzicht ja gerade keine Gegenleistung vor. Könnte also ein Pflichtteilsverzicht eines gerade 18 Jahre alt gewordenen Sohnes an dem millionenschweren Vermögen seines Vaters sittenwidrig sein, wenn er dafür eine neue Spielekonsole bekommt? Inzwischen gab es allerdings durchaus auch Gerichte, die bei einem erheblichen Ungleichgewicht zulasten des Verzichtenden tatsächlich eine Sittenwidrigkeit angenommen haben. Aber auch dies ist eine Einzelfallentscheidung und erfordert viel Begründungsaufwand. Denn der Bundesgerichtshof entschied einst: Bei gesetzlich grundsätzlich zulässigen Verträgen ist stets die Unwirksamkeit zu begründen, nicht etwa dessen Rechtfertigung.

Hinweis:
Der vorstehende Beitrag stellt lediglich die rechtliche Lage im Allgemeinen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels dar und kann die individuelle Rechtsberatung für den speziellen Einzelfall nicht ersetzen.