Erbschaftslösung oder Vermächtnislösung beim Behindertentestament

Was ist der Unterschied?

Online seit: 30.09.2021
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Die in der Praxis am häufigsten verwendete Gestaltungslösung beim Behindertentestament (auch behindertengerechtes Testament oder sozialhilfefestes Testament genannt) ist die sogenannte Erbschaftslösung, bei der das Kind mit Behinderung als Vorerbe eingesetzt wird (lesen Sie hier mehr dazu). Daneben gibt es aber auch eine weitere Lösung, nämlich die sogenannte Vermächtnislösung. Was der Unterschied ist, welche der Varianten zu empfehlen ist und warum die Vermächtnislösung in der Praxis kaum verwendet wird, erfahren Sie in diesem Artikel.

Was ist der Unterschied zwischen Erbe und Vermächtnis?

Im allgemeinen Sprachgebrauch werden die Worte „vererben“ und „vermachen“ immer wieder synonym verwendet. Doch rechtlich gesehen liegt darin ein erheblicher Unterschied, der sich wie folgt zusammenfassen lässt: Der Erbe ist der Rechtsnachfolger des Verstorbenen. Er rückt in dessen Position ein und übernimmt alle Vermögenswerte und Verbindlichkeiten. Der Vermächtnisnehmer hingegen hat lediglich einen Anspruch auf einen bestimmten Gegenstand (oder ein Recht) aus dem Nachlass und muss diesen von dem Erben herausverlangen.

Beispiel: Der Sohn wird Alleinerbe und erhält alle Vermögensgegenstände, so z. B. auch das Auto, das eigentlich der beste Freund erhalten soll. Dieser muss dann den Sohn um Herausgabe des Autos bitten.

In diesem Artikel können Sie über den Unterschied weitere Details nachlesen.

Die Erbschaftslösung

Die Erbschaftslösung ist die Lösung, die in der Praxis am häufigsten gewählt wird. Sie lag auch der bahnbrechenden Entscheidung aus dem Jahr 1990 (BGH, Urteil v. 21.03.1990, Az.: IV ZR 169/89) zugrunde, als der Bundesgerichtshof erstmals entschieden hat, dass das Behindertentestament nicht sittenwidrig ist.

Bei ihr wird das Kind mit Behinderung als (nichtbefreiter) Vorerbe eingesetzt. Es wird somit Mitglied der Erbengemeinschaft: im Erstversterbensfall mit dem überlebenden Ehegatten und im Schlusserbfall zusammen mit den weiteren Kindern.

Die Erbschaftslösung ist deshalb sozialhilfefest, weil ein Vorerbe gesetzlichen Beschränkungen unterliegt. Er darf nämlich nicht auf die Erbschaft zugreifen, sondern muss sie für die Nacherben (dies sind dann im Regelfall die weiteren Kinder) erhalten. Lediglich die Nutzungen aus der Erbschaft stehen ihm zu, die jedoch nach vorgegebenen Regeln von dem zusätzlich bestimmten Testamentsvollstrecker verwaltet und im Einzelfall herausgegeben werden (vgl. hier). Kann nun also das behinderte Kind nicht auf die Erbschaft zugreifen, kann der Sozialhilfeträger ihn auch nicht zum Verbrauch der Erbschaft verpflichten. Die Sozialleistungen werden in diesem Fall also weitergezahlt.

Die Vermächtnislösung

Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise erhält das behinderte Kind bei der Vermächtnislösung genau das Gleiche wie bei der Erbschaftslösung, allerdings werden die juristischen Weichen etwas anders gestellt. So wird das Kind mit Behinderung nämlich nicht Miterbe, sondern erhält lediglich ein Vermächtnis. Dieses entspricht wertmäßig jedoch - wie auch bei der Erbschaftslösung - mindestens dem Pflichtteil des behinderten Kindes. Bevor ich auf die nähere Funktionsweise eingehe, möchte ich zunächst klären:

Welche Vorteile hat die Vermächtnislösung?

Eines der größten Nachteile der Erbschaftslösung ist, dass das behinderte Kind Miterbe wird, dass es sich also in der Erbengemeinschaft mit dem überlebenden Ehegatten oder den Geschwistern befindet. Diese muss aber auseinandergesetzt werden, denn mehrere Personen erben zunächst einmal alle Gegenstände gemeinsam und müssen dann gemäß ihren jeweiligen Erbquoten eine Entscheidung darüber treffen, wer welche Vermögensgegenstände erhält.

Beim Behindertentestament ist diese Erbauseinandersetzung jedoch oft besonders kompliziert, insbesondere weil das behinderte Kind im Regelfall unter gesetzlicher Betreuung steht. Ist das Kind jedoch nur Vermächtnisnehmer, so erhält es lediglich einen sogenannten schuldrechtlichen Anspruch. Der überlebende Ehegatte oder die Geschwister können diesen Anspruch dann einfacher erfüllen als im Rahmen einer Erbauseinandersetzung.

Wie funktioniert die Vermächtnislösung?

Wie bereits erwähnt, wird das behinderte Kind nicht Miterbe und damit nicht Mitglied der Erbengemeinschaft. Vielmehr erhält es lediglich ein Vermächtnis, also einen Anspruch auf Herausgabe von Wertgegenständen, die wertmäßig mindestens dem Pflichtteil entsprechen. Wie auch bei der Erbschaftslösung wird das Vermächtnis der Dauertestamentsvollstreckung unterstellt. Ähnlich wie bei der Nacherbschaft wird zudem angeordnet, dass die Vermächtnisgegenstände nach dem Tod des behinderten Kindes an den bzw. die Nachvermächtnisnehmer gehen.

Beispiel: Der bereits verwitwete Erblasser verstirbt und hinterlässt zwei Kinder. Eines davon hat eine Behinderung. In diesem Fall wird das andere Kind Alleinerbe und das Kind mit Behinderung hat einen Vermächtnisanspruch gegen diesen, denn das behinderte Kind wird lediglich Vermächtnisnehmer. Der Vermächtnisgegenstand, der dann vom Alleinerben herauszugeben ist, untersteht der Testamentsvollstreckung. Verstirbt im Anschluss das behinderte Kind, so geht der Vermächtnisgegenstand an den Nachvermächtnisnehmer, in diesem Beispielsfall (zurück) an das Geschwisterkind. Folgende Grafik soll dies verdeutlichen:

Vermächtnislösung

Ist die Vermächtnislösung gefährlich?

Die Vermächtnislösung hat den Ruf, dass sie nicht durch die Rechtsprechung gesichert sei. Sie sei gefährlich, denn sie könne dazu führen, dass die Erbschaft (korrekter gesagt das Vermächtnis) nicht sozialhilfefest sei.

Festhalten kann man jedoch, dass der wohl überwiegende Teil der juristischen Literatur der Ansicht ist, dass auch die Vermächtnislösung sozialhilfefest ist. Da aber keine höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu vorliegt, gilt die Erbschaftslösung aus Sicht des Rechtsgestalters als der sogenannte sicherste Weg. Dies ist auch der Grund, warum es in der Praxis überwiegend die Erbschaftslösung gibt. Letztlich ist es also eine Frage der Risikobereitschaft der testierenden Eltern. Möchte man die Nachteile der Erbschaftslösung verhindern und ist man bereit, ein gewisses Risiko einzugehen, dann kann sich die Vermächtnislösung also tatsächlich anbieten.

  • Es ist allgemein anerkannt, dass durch die Anordnung der Testamentsvollstreckung das Vermächtnis weder einzusetzendes Einkommen noch verwertbares Vermögen im sozialhilferechtlichen Sinn darstellt. Während das behinderte Kind also noch lebt, kann der Sozialhilfeträger die Leistungen nicht mit dem Argument einstellen, es liege ja nun Einkommen/Vermögen vor.

  • Problematisch ist der sogenannte Kostenersatz der Erben aus § 102 SGB XII. Dieser regelt vereinfacht gesagt: Der Erbe eines Sozialhilfeempfängers muss unter bestimmten Umständen die in den letzten zehn Jahren erbrachten Leistungen von dem Erbe an den Staat zurückbezahlen. Damit stellt sich aber die Frage, welcher Anspruch Vorrang hat: Der Kostenerstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers oder der Anspruch des Nachvermächtnisnehmers auf Herausgabe des Vermächtnisgegenstandes?

    Konkurrenz Nachvermächtnis

    Mit anderen Worten: Sollte der Anspruch des Sozialhilfeträgers Vorrang haben, müsste der Nachvermächtnisnehmer, also im Regelfall das Geschwisterkind, das Nachvermächtnis hierfür einsetzen. Nach wohl herrschender Ansicht in der juristischen Literatur gibt es hier aber lediglich ein vermeintliches Konkurrenzproblem. Denn das Kind mit Behinderung erhält von Beginn an nur einen mit einem sogenannten Untervermächtnis belasteten Vermächtnisgegenstand. Denn es ist bereits von Anfang an angeordnet, dass dieses Vermächtnis an den Nachvermächtnisnehmer herauszugeben ist. Das bedeutet aber auch, dass es damit nicht für den Kostenerstattungsanspruch zur Verfügung steht.

  • Ein weiteres Problem liegt in der Frage, ob die Testamentsvollstreckung über den Tod des behinderten Kindes hinaus auch die Aufgabe erfassen kann, dass das Vermächtnis auf den Nachvermächtnisnehmer übertragen wird (Sie erinnern sich, das Vermächtnis ist nur ein Anspruch auf Herausgabe, es erfolgt keine automatische Übertragung). Die herrschende juristische Meinung nimmt jedoch an, dass dies möglich ist.

Hinweis:
Der vorstehende Beitrag stellt lediglich die rechtliche Lage im Allgemeinen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels dar und kann die individuelle Rechtsberatung für den speziellen Einzelfall nicht ersetzen.